Fast acht Jahre ist sie her, meine Zeit im Chaithanya Happy Home. Von Herbst 2016 bis Sommer 2017 war ich weltwärts-Freiwillige bei Chaithanya Mahila Mandali (CMM). Inzwischen habe ich mein Studium beendet und wollte die sich anschliessende Freiheit für eine lange Indienreise nutzen, bei der ein Aufenthalt in Hyderabad natürlich nicht fehlen durfte.

Als wir in Hyderabad ankommen, ist es heiss, die Temperaturen klettern regelmässig auf fast 40° C und die Sonne strahlt auf die staubigen Strassen. Eine lange Autofahrt bringt uns nach Shamshabad an den Rand der Stadt, raus aus dem Lärm und hektischen Verkehr in eine beinahe dörfliche Gegend. Dort, mitten im Grünen, liegt das neue Happy Home. Schon von Weitem sind wir sprachlos angesichts der schieren Grösse des Hauses. Kaum sind wir durch das Tor getreten werden wir überschwänglich von einigen Mädchen begrüsst, die bereits damals im Heim waren und sich noch gut an uns erinnern. Wir werden in das Büro von Jaya Singh Thomas, dem Gründer und Leiter von CMM, geführt, der uns für einige Tage als Gäste in sein Zuhause eingeladen hat. Seit 25 Jahren arbeitet CMM nun schon unermüdlich für die Sicherheit, Rechte und Zukunftsaussichten der von (Zwangs-)Prostitution betroffenen Frauen und im Laufe der Gespräche, die wir in diesen Tagen führen, wird immer wieder deutlich was für ein langer und harter Kampf das ist.

Zunächst heisst es aber, alle Mädchen zu begrüssen und das Haus sowie den umliegenden Hof und Garten zu besichtigen. Es ist ziemlich überwältigend, all die Mädchen wiederzusehen, einige sind junge Frauen geworden, stehen gerade am Ende ihrer Schullaufbahn und müssen sich nun überlegen, wie es weitergeht. Auch dabei steht ihnen CMM zur Seite, organisiert Karriere-Workshops und berät sie individuell zu ihren Möglichkeiten. Gleichzeitig spürt man aber auch den Druck, der auf den Mädchen lastet, diese Chance zu nutzen und etwas Sinnvolles mit all den Ressourcen anzufangen, die ihnen geboten werden. Eine der aktuell grössten Herausforderungen ist, dass viele der älteren Mädchen junge Männer kennenlernen und sich teils Beziehungen bilden. Doch anders als bei uns, ist es in der indischen Gesellschaft nicht so einfach, unverbindliche Beziehungen einzugehen, ohne dabei eine weitreichende Entscheidung für das zukünftige Leben zu fällen. Der Balanceakt, den Mädchen ihre Freiheit zu gewähren und sie gleichzeitig auf die Relevanz einer unabhängigen Karriere und Zukunft hinzuweisen, ist keine einfache Aufgabe.

Am Abend führt uns Jaya Singh durch den Garten und wir kommen aus dem Staunen gar nicht raus, wie vorausschauend und umfassend die Planung der ganzen Anlage war. Eine Solaranlage auf dem Dach bietet eine unabhängige Stromversorgung, die nicht nur die Kosten für Energie von der Liste der Ausgaben streicht, sondern auch dafür sorgt, dass die in Indien zahlreichen Stromausfälle kein Problem mehr sind. Eine moderne Filteranlage stellt einen Wasserkreislauf her, wodurch für immer ausreichend frisches Trinkwasser sowie eine Bewässerung des Gartens gesorgt ist. Der weitläufige Garten selbst stellt Gemüse, Obst und Kräuter bereit sowie die Möglichkeit für die Mädchen, direkt vor Ort einige Grundlagen über Anbau und Ernte zu lernen. Sowohl Haus als auch Garten sind kein Vergleich zu Zuständen des alten Kinderhauses und der viele Raum, der nun zum Schlafen, Lernen, Essen, Tanzen, Leben verfügbar ist, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden.

 

An unserem letzten Tag in Hyderabad besuchen wir gemeinsam mit Jaya Singh und einer Mitarbeiterin von CMM zahlreiche “Skill Development Center” im Norden Hyderabads. Diese sind über mehrere Stadtviertel verteilt und bieten jeweils etwa 15 – 20 Frauen die Möglichkeit, in einem mehrmonatigen Kurs Nähen zu lernen. Am Ende des Kurses bekommen sie eine Nähmaschine geschenkt und können so selbstständig und von zu Hause aus arbeiten. Das hat mehrere Vorteile für die Frauen. Zum einen ist es ein niedrigschwelliges Angebot, da die Kurse in ihrer Nachbarschaft stattfinden und kostenlos sind, zum anderen können sie eine praktische Fähigkeit erlernen, durch welche sie direktes Einkommen haben. Mittlerweile gibt es elf solcher Zentren und sobald ein Kurs abschlossen ist reihen sich die Interessentinnen für die nächste Gruppe bereits aneinander. Die Räume sind jeweils bis auf den letzten Winkel vollgestopft mit Nähmaschinen, zwischen den Arbeitsplätzen der Frauen wuseln teils Kinder umher und vertreiben sich die Zeit. Die Gruppen setzen sich divers zusammen, viele der Frauen stammen nicht aus Hyderabad, sondern sind, mitunter von weit her, in die Stadt gezogen, um Arbeit zu finden.

Als wir am Ende des Tages im Zug sitzen, bin ich völlig geplättet und voll von den gesammelten Erinnerungen. Ein roter Faden, der sich durch all die Eindrücke zieht, ist die Nachhaltigkeit und Gründlichkeit, mit der CMM die Arbeit angeht. Mit einer beeindruckenden Bedachtsamkeit werden die verschiedenen Herausforderungen berücksichtigt und so gut wie möglich gelöst. Dabei profitieren sie definitiv von ihrer mittlerweile langjährigen Erfahrung sowie ihren daraus entstandenen Beziehungen und dem aufgebauten Netzwerk. Das dies alles nicht möglich wäre ohne die aufopferungsvolle Arbeit von Jaya Singh sowie die wertvolle Unterstützung der Partnerorganisationen, ist vollkommen klar. Und die Pläne und Zukunftsvisionen nehmen kein Ende: aktuell geht es um die Herausforderung der durch den Klimawandel immer weiter ansteigenden Temperaturen, die das Leben in Hyderabad immer schwerer werden lassen. Eine Begrünung des Innenhofes sowie der Dachterrasse ist bereits angedacht. Bis zu meinem nächsten Besuch hat sich die Stadt und das Happy Home voraussichtlich wiederum sehr verändert, und ich bin gespannt darauf diese Entwicklungen zu entdecken.

Nina Wiedemann war als Freiwillige im Rahmen des weltwärts-Programms für 10 Monate im Chaithanya Happy Home. Sie hat Global Studies in Leipzig studiert und ist vor kurzem von einer mehrmonatigen Indienreise zurückgekehrt.

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